Scroll Top

Was hat Delegation Poker mit Selbstorganisation und agiler Führung zu tun?

Kurzbeschreibung

Ohne agile Führung gibt es kein selbstorganisiertes Arbeiten und ohne selbstorganisiertes Arbeiten keine agile Führung. Doch sowohl beim Teammitglied als auch bei der Führungskraft treten spätestens an Entscheidungspunkten Unsicherheiten oder sogar Konflikte auf: Wie selbstorganisiert darf ich wirklich arbeiten? Wie sieht mein Verantwortungsbereich tatsächlich aus? Welche Entscheidungen darf ich (nicht) treffen? Wer trifft diese Entscheidung? Kann mein Teammitglied diese Entscheidung ohne mich treffen?

Das Delegation Poker ist eine spielerische Methode, um den Verantwortungsbereich und die Entscheidungsbefugnisse zwischen Teammitgliedern und der Führungskraft abzustimmen und Klarheit zu schaffen. Die gewonnene Transparenz trägt auch dazu bei unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Führungskraft und Teammitglied anzugleichen.

 Jeder Teilnehmer erhält sieben Karten. Die Karten stehen jeweils für einen Grad der Selbstständigkeit bei der Entscheidungsfindung – von der Verkündung einer Entscheidung durch die Führungskraft bis hin zur Delegation der Entscheidungskompetenz an ein Teammitglied. Gemeinsam werden Entscheidungsfelder identifiziert. Je Entscheidungsfeld pokern die Teammitglieder dann mit der Führungskraft. Damit eine gegenseitige Beeinflussung ausgeschlossen ist, werden die Karten verdeckt ausgewählt und anschließend gemeinsam aufgedeckt. Anschließend erläutert jeder seine Wahl den anderen Teilnehmern und eine Diskussion beginnt. Ziel ist es, eine Entscheidung über den Grad der Delegation für das jeweilige Entscheidungsfeld zu treffen, mit der sich alle Beteiligten wohl fühlen.

Eine offizielle Limitierung der Gruppengröße beim Delegation Poker gibt es nicht. Es ist jedoch empfehlenswert die Größe eines Scrum Teams nicht zu überschreiten.

 

Detailbeschreibung

Im Zuge der New Work Bewegung bekommt in zahlreichen Organisationen die Klärung von zukünfitgen Entscheidungsbefugnissen und -wegen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Während in traditionell geprägten Organisationen die klassischen top-down-Entscheidungen überwiegen, setzen agile Organisationen auf die dezentrale Entscheidungsfindung.

Entscheidet sich eine Organisation für den agilen Entscheidungsweg, resultieren daraus neue Entscheidungsprozesse und veränderte Verantwortlichkeiten, mit denen Führungskräfte und Teammitglieder zunächst überfordert sind. Während Führungskräfte sich plötzlich häufig bei der Entscheidungsfindung außen vorgelassen fühlen, sind viele Teammitglieder mit ihrem neuen Verantwortungs- und Kompetenzbereich überfordert. Nicht selten kommt es zu „neutralen Zonen“, wo keine eindeutige Entscheidungskompetenz und Verantwortung zu erkennen ist. Dies hat zur Folge, dass bei allen Beteiligten Unklarheit herrscht und im worst case niemand eine Entscheidung trifft. Das Delegation Poker hilft euch dabei solche „neutralen Zonen“ gar nicht erst entstehen zu lassen.

 

Klare Rollenprofile

Klare Rollenprofile sind unvermeidbare Instrumente für selbstorganisiertes Arbeiten. Delegation Poker hilft euch dabei, eure Rollenprofile zu schärfen.

Durch seine sieben Abstufungen ist Delegation Poker alles andere als die Entscheidung zwischen „Anweisung“ und „mach was du willst“. Der Grad der Delegation und die damit verbundene Selbstorganisation wird stufenweise bestimmt. Wurde eine Entscheidung für einen Grad der Delegation zwischen den Beteiligten erpokert, muss dieser nicht für immer und schon gar nicht für alle Entscheidungsfelder gelten. Selbstorganisation ist ein Lernprozess, der schrittweise erkundet, hinterfragt und angepasst werden muss. Beide Seiten brauchen Zeit und Erfahrungswerte, um sich an veränderte Entscheidungsprozesse zu gewöhnen und ihre Wohlfühlzone abzustecken.

 

Die sieben Ebenen der Delegation

Das Delegation Poker unterscheidet sieben Ebenen des Delegierens – eins je Karte. Sie sind aus Sicht der Führungskraft formuliert:

 

Ich entscheide

Verkünden -> „Ich werde es Euch mitteilen.“

Die Führungskraft entscheidet und informiert seine Teammitglieder über die getroffene Entscheidung.

Verkaufen -> „Ich werde versuchen, es Euch zu vermitteln.“

Die Führungskraft entscheidet allein und informiert seine Teammitglieder über die getroffene Entscheidung. Dabei begründet er diese und versucht das Team zu überzeugen.

Befragen -> „Ich hole mir vor meiner Entscheidung Euren Rat.“

Die Führungskraft holt die Meinungen des Teams ein, bevor sie eine Entscheidung allein trifft.

Einigen -> „Wir werden einen Konsens finden.“

Bevor eine Entscheidung getroffen wird, gibt es eine Diskussion mit allen Beteiligten. Das Ziel der Diskussion ist die Entscheidungsfindung im Konsens.

Beraten -> „Ich werde Euch beraten, aber Ihr entscheidet.“

Die Führungskraft steht beratend zur Seite. Nachdem sich das Team Rat bei der Führungskraft eingeholt hat, trifft das Team die Entscheidung.

Erkundigen -> „Ich werde nach Eurer Entscheidung fragen.“

Die Führungskraft ist kein Teil der Entscheidungsfindung. Das Team trifft eigenständig die Entscheidung und die Führungskraft erkundigt sich nach dem Ergebnis und den Beweggründen.

Delegieren -> „Ich werde komplett delegieren.“

Die Führungskraft ist kein Teil der Entscheidungsfindung. Das Team trifft eigenständig die Entscheidung, ohne dass die Führungskraft involviert oder informiert ist. Die Führungskraft überträgt dem Team die totale Autonomie.

Die Struktur der 7 Ebenen der Delegation lässt drei Gruppierungen erkennen. In den ersten drei Ebenen entscheidet die Führungskraft und die Partizipation des Teams variiert. Ebene 4 befindet sich genau in der Mitte und fordert einen Konsens aller Beteiligten. In den Ebenen 5, 6 und 7 trifft das Team die Entscheidungen, wobei hier die Partizipation der Führungskraft variiert.

 

So läuft Delegation Poker ab

Die Vorbereitung

Sammelt reale und konkrete Entscheidungsszenarien aus eurem Arbeitsumfeld. Schreibt zu jedem Szenario eine Delegation Poker Story, die allen Teilnehmern eine klare Vorstellung des zu erpokernden Sachverhalts gibt. Das können sowohl positive als auch negative Beispiele von Entscheidungen sein, die ihr bereits getroffen habt oder Entscheidungen, die momentan im Raum stehen. Auch zweifelhafte Verantwortlichkeiten und unklare Erwartungshaltungen oder Kompetenzen können hier in einer Delegation Poker Story ausformuliert werden.

Eure gesammelten Stories visualisiert ihr am besten auf einem Delegation Board. Die Matrix dient zur Dokumentation eurer Ergebnisse.

Bereite außerdem für jeden Teilnehmer die 7 Delegation Poker Karten vor.

Tipp:
Legt ein Situations-Backlog an, auf das jedes Teammitglied Zugriff hat. So könnt ihr jederzeit Situationen, die im Arbeitsalltag auftreten, unmittelbar verschriftlichen und in regelmäßigen Abständen eine Delegation Poker Session anhand der gesammelten Backlog Items durchführen.

 

Der Spielablauf

  1. Wählt eine Delegation Poker Story aus. Stellt sicher, dass jeder Teilnehmer den Inhalt und den Kontext versteht. Nehmt euch je Story max. 15 Minuten Zeit.

  2. Jeder Teilnehmer reflektiert für sich, wie die Entscheidung in dem beschriebenen Szenario aus seiner Sicht getroffen werden sollte. Er wählt die passende Karte aus und legt diese verdeckt vor sich.

  3. Auf Kommando legen alle Teilnehmer ihre Karte offen.

  4. Nacheinander erläutern alle Teilnehmer ihre Entscheidung. Am besten startet ihr mit den beiden Teammitglied, deren Delegation Ebenen am weitesten auseinander liegen.

  5. Wiederholt die Schritte 1-4 so lange, bis ihr ein gemeinsames Verständnis habt und sich alle mit der Entscheidung wohl fühlen.

  6. Um Missverständnisse vorzubeugen, tragt ihr euer Ergebnis in das vorbereitete Delegation Board ein. Anschließend nehmt ihr euch die nächste Story vor.

 

Die Nachbereitung

Das Pokern um Entscheidungsbefugnisse anhand von realen oder fiktiven Beispielen ist nur ein kleiner Schritt in Richtung selbstorganisiertes Arbeiten. Das bloße Besprechen und Festlegen von Verantwortungsbereichen, Kompetenzen und Entscheidungsbefugnissen reicht an dieser Stelle nicht aus. Hier dürfen wir uns nicht vom klassischen Gap der Theorie und Praxis täuschen lassen. Die eigentliche Herausforderung ist der situative Umgang mit aufkommenden Situationen im Arbeitsalltag, die den besprochenen Stories aus der Delegation Poker Runde ähneln. Bedeutet: Wie geht ihr tatsächlich mit Entscheidungssituationen um, wenn sie auftreten? Haltet ihr euch an die gemeinsam erpokerte Delegations-Ebene oder verfallt ihr in alte Muster? Oder ist die Situation vielleicht nicht mit den Stories aus dem Delegation Poker vergleichbar, sodass ihr trotzdem vor der Frage steht: Wer trifft nun die Entscheidung?

Wichtig ist an dieser Stelle ein offener und transparenter Umgang miteinander. Gib zum Beispiel zu, wenn du dir nicht sicher bist, ob du gerade deinen Verantwortungsbereiche überschreitest oder mach eine andere Person darauf aufmerksam, dass sie sich in einem Entscheidungsbereich bewegt, der außerhalb der Vereinbarung aus dem Delegation Poker liegt – auch wenn es deine Führungskraft ist. 

Durch offene Gespräche, reflektieren und regelmäßiges Delegation Pokern werden eure neuen Entscheidungswege immer schärfer und dadurch leichter umsetzbar.

 

Delegation Poker in a nutshell

– spielerisches Festlegen von Entscheidungskompetenzen

– entscheidender Schritt auf dem Weg zur selbstorganisierten Arbeit und agiler Führung

– Führungskräfte und Teammitglieder verlassen ihre Komfortzonen – wenn sie sich damit wohl fühlen

– Auflösen von umständlichen und zeitaufwändigen Entscheidungsprozessen

– fördert das Verantwortungsgefühl und die Sicherheit in Entscheidungssituationen